Trauma verstehen – Warum dein Nervensystem nicht „spinnt“
Panik aus dem Nichts. Herzrasen, obwohl keine reale Gefahr da ist. Erstarren in Situationen, in denen du eigentlich handeln willst. Viele Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben – bewusst oder unbewusst –, kennen diese Reaktionen. Und oft kommt dann der Gedanke: „Was stimmt nicht mit mir?“ Doch die Wahrheit ist: Dein Nervensystem spinnt nicht. Es schützt dich.
Trauma ist nicht das Ereignis – sondern das, was in dir zurückbleibt
Trauma wird häufig mit drastischen Erlebnissen wie Unfällen, Gewalt oder Missbrauch gleichgesetzt. Doch traumatische Erfahrungen sind subjektiv. Auch ständiges Überfordertsein in der Kindheit, emotionale Vernachlässigung oder das Gefühl, nicht sicher oder gesehen zu sein, können tiefe Spuren hinterlassen.
Entscheidend ist nicht, was passiert ist – sondern, wie dein System darauf reagieren musste. Trauma ist das, was in deinem Körper, deinem Nervensystem und deinem Gefühlshaushalt zurückbleibt, wenn du mit einer Erfahrung nicht vollständig umgehen konntest.
Dein Nervensystem tut, was es soll: dich schützen
Unser autonomes Nervensystem besteht aus zwei Hauptsystemen: dem Sympathikus (Kampf- oder Fluchtreaktion) und dem Parasympathikus (Ruhe- und Regenerationsmodus). In traumatischen Situationen übernimmt das Nervensystem blitzschnell die Kontrolle – es aktiviert Überlebensstrategien wie Erstarren, Flucht, Kampf oder völlige Dissoziation.
Wenn sich diese Schutzmechanismen im Körper „festsetzen“, kann es sein, dass sie auch dann noch anspringen, wenn objektiv keine Gefahr mehr besteht. Nicht weil du schwach bist. Nicht weil du übertreibst. Sondern weil dein System sich auf Bedrohung eingestellt hat – um dich zu schützen.
Traumafolgen sind logisch, nicht irrational
Viele Symptome, die mit Trauma einhergehen, werden von Betroffenen selbst als übertrieben oder irrational erlebt:
- Schnelle Reizbarkeit oder plötzliche Rückzüge
- Unfähigkeit, sich zu entspannen oder zu konzentrieren
- Gefühl von innerer Leere oder Taubheit
- Überreaktionen auf bestimmte Geräusche, Berührungen oder Situationen
Doch diese Reaktionen sind keine „Spinnerei“. Sie sind logisch – wenn man versteht, dass dein System immer noch im Alarmzustand lebt.
Heilung beginnt mit Verständnis – nicht mit Druck
Viele Betroffene versuchen, sich zusammenzureißen, „normal“ zu funktionieren oder sich selbst zu überreden, dass „doch alles gut ist“. Doch das Nervensystem lässt sich nicht durch Worte regulieren. Es braucht Sicherheit, Geduld und neue Erfahrungen, um zu lernen, dass die Bedrohung vorbei ist.
Daher ist der erste Schritt nicht: „Ich muss mich ändern.“
Sondern: „Ich verstehe, warum ich so reagiere.“
Dieses Mitgefühl mit dir selbst ist der Beginn von echter Heilung. Denn was dein Nervensystem wirklich braucht, ist nicht Kontrolle – sondern Verbindung, Erdung, Sicherheit und Zeit.
Trauma ist keine Lebensverurteilung – es ist ein Überlebenszeichen
Dass du heute noch spürst, was damals war, zeigt, dass dein System funktioniert hat – um dich durchzubringen. Und das verdient Anerkennung, keine Scham.
Der Weg aus dem Trauma ist kein gerader Pfad. Aber er ist möglich. Mit dem richtigen Verständnis, achtsamer Begleitung und der Erkenntnis, dass dein Körper nicht dein Feind ist – sondern dein treuester Verbündeter.